Umgang mit der Trauer

Trauer

Die Dynamik und Dramatik, die ein Suizid, sowohl im Vorfeld eines Suizides, aber auch nach einem Suizid begleitet, unterscheidet sich in ihrer Trauerverarbeitung von anderen Todesfällen. Der Tod durch Suizid geschieht für die Hinterbliebenen oft unerwartet, auch wenn der Verstorbene in der Zeit davor an einer psychischen Erkrankung gelitten hat. Nach einem Suizid berichten Angehörige häufig, dass sich ihre Trauer besonders intensiv anfühlt. Sie erleben oftmals eine starke Sehnsucht nach der verstorbenen Person. Ein Trennungsschmerz, der sich für viele Betroffene wie ein körperlicher Schmerz anfühlt. Gleichzeitig sind diese starken Gefühle häufig gepaart mit Schuldgefühlen und einer tiefen Verzweiflung. Angehörige fühlen sich verantwortlich am Tod des verstorbenen Menschen– oder erleben Wut auf den Verstorbenen selbst. Diese Trauergefühle können manchmal viele Jahre andauern und ein Suizid ist fast immer auch eine traumatische Erfahrung für die Hinterbliebenen.

Christian (65 Jahre) hat seinen Sohn verloren

„Ich habe plötzlich eine riesengroße Sehnsucht nach meinem Kind verspürt. Überall, wo ich hingesehen habe, tauchte er vor meinem geistigen Auge auf.“

Jenny (32 Jahre) hat ihren Partner verloren

„Tatsächlich hat es ein paar Jahre gedauert, bis die akute Trauerphase vorbei war. Doch bis heute, 13 Jahre später, verändert sich die Trauer. Sie begleitet mein Leben, aber sie behindert mein Leben nicht mehr.“

Häufige Schwierigkeiten im Umgang mit der Trauer

Trauer ist ein Prozess, der sich über die Jahre hin verändert und sehr individuell abläuft. Dennoch gibt es Umgangsweisen mit dem Verlust, welche den Trauerprozess verlängern oder ihn ganz verhindern können.

Hier finden Sie einige Beispiele, die ein solch problematisches Verhalten beschreiben:

  • Verleugnung, dass es sich bei der Todesursache um einen Suizid handelt
  • Verleugnung von Gefühlen wie Trauer, Schmerz oder Ärger
  • Nicht über die verstorbene Person sprechen
  • Rückzug und soziale Isolation von Freunden oder anderen Personen, die unterstützen könnten
  • Vermeidung von Orten oder Personen, die mit der verstorbenen Person verbunden werden
  • Missbrauch von Alkohol oder Drogen
  • Schuldzuweisungen auf andere Familienmitglieder
  • Erwartung, dass jeder in der Familie so trauern sollte, wie man selbst

Schuldgefühle

Viele Trauernde halten sich für schuldig am Suizid der verstorbenen Person und dieser Gedanke kann ziemlich überwältigend sein. Schuldig dafür, bestimmte Worte gesagt oder nicht gesagt zu haben. Schuldig dafür, bestimmte Dinge getan oder nicht getan zu haben. Schuldig dafür, den Tod nicht kommen gesehen zu haben oder ihn nicht verhindert zu haben. Schuld und Verantwortung am Tod des Verstorbenen zu haben, ist oft ein langandauerndes und intensives Gefühl von Hinterbliebenen nach einem Suizid. Häufig gehen Angehörige davon aus, dass der Tod durch Suizid vermeidbar gewesen wäre, wenn sie sich anders verhalten hätten. Gedanken und Phantasien, dass man eventuell den Menschen noch in den letzten Stunden von seinen Suizidabsichten hätte abbringen hätte können, lösen häufig Schuldgedanken bei den Hinterbliebenen aus.

Dennoch überschätzen die meisten Angehörigen ihre eigene Rolle an dem Suizid, in welcher Form sie den Suizid hätten verhindern können. Sie schätzen ihre eigene Verantwortung am Suizid als gewichtiger ein und andere Faktoren, wie beispielsweise vorangegangene psychische Erkrankungen als Ursache, werden minimiert.

Elke (65 Jahre) hat ihre Tochter verloren

„Ich habe automatisch mir die volle Schuld am Suizid meiner Tochter gegeben. Wer sonst ist für das Wohl der Kinder verantwortlich, wenn nicht die Eltern? Ich war der Überzeugung, dass ich als Mutter versagt habe, weil ich nicht bemerkt habe, wie schlecht es meiner Tochter ging. Doch meine andere Tochter hat mir immer und immer wieder zu verstehen gegeben, dass ich meine Einflussmöglichkeiten überschätze und ich keine schlechte Mutter bin. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das annehmen konnte.“

Phillip (39) hat seine Mutter verloren

„Am Morgen bevor sie sich das Leben genommen hat, hatten wir eine unserer typischen Auseinandersetzungen. Über Kleinigkeiten, Alltägliches, den Einkauf. Heute quält es mich, dass das unsere letzten Worte zueinander waren. Ich habe mich die ersten Monate nach dem Tod gefragt: Wäre sie noch am Leben, ich weniger gemeckert hätte? Aber ich glaube nicht. Leider.“

Betroffene nach einem Suizid entwickeln Schuldgefühle weil,

  • ...sie denken, dass sie die Ernsthaftigkeit der Situation des Suizidenten nicht richtig eingeschätzt haben
  • ...sie das Gefühl haben, dass sie der verstorbenen Person in seiner größten suizidalen Krise nicht nahe genug gestanden haben
  • ...sie vielleicht der Grund für die suizidale Handlung gewesen sein könnten, beispielsweise durch eine vorangegangene Trennung oder Konflikte in der Beziehung

Stigmatisierung

Suizid ist in unserer heutigen Gesellschaft oft noch ein Tabuthema und viele Betroffene erleben, dass sich Freunde, Verwandte und Nachbarn in ihrem Verhalten ihnen gegenüber verändern und sich oft zurückziehen. Während sich ein Großteil der Trauernden bei anderen Todesumständen von ihrer Umwelt unterstützt fühlt, erleben es Hinterbliebene nach einem Suizid häufig, dass ihnen mit Schweigen und Distanz begegnet wird. Aber auch wenn das soziale Umfeld die Suizidangehörigen in der Zeit nach dem Tod unterstützen möchte, erleben sie häufig ein Gefühl von Unsicherheit und Verlegenheit, wenn es um potentielle Hilfestellungen für die betroffenen Angehörigen geht. Diese Unsicherheit wird allerdings häufig von den Betroffenen als Ablehnung interpretiert.

Parallel erleben auch die Suizidhinterbliebenen ein Gefühl von Unsicherheit und Unbeholfenheit, wie sie mit dem Suizid bei ihrem sozialen Umfeld umgehen sollen. Offene Gespräche über die verstorbene Person fallen ihnen häufig schwer, da sie sich vielleicht selbst schämen oder sich schuldig fühlen. Manchmal hatten sie vielleicht früher selbst eigene Vorurteile gegenüber dem Suizid als Todesart und haben sich entsprechend keine eigene Haltung angeeignet, welche sie nach außen vertreten können. Manche Betroffene fühlen sich auch überfordert mit ihrer Trauer und der Dramatik des Suizides an sich, so dass sie sich außer Stande sehen, auf andere Menschen offen zuzugehen.

Hans-Jürgen (61) hat seinen Bruder verloren

„Ich fühlte mich, als wäre ich ein Aussätziger. Nachbarn haben die Straßenseite gewechselt. Viele Freunde zogen sich völlig zurück. Ein Kollege meinte nur „So etwas macht man einfach nicht.“. Ich habe mich in dieser Zeit extrem geschämt… ohne wirklich zu wissen, wofür eigentlich. Gottseidank gab es auch viele in meinem Umfeld, die mich ganz normal behandelten.“

Ärger und Wut

Auch wenn es vielleicht schwer sein mag, es sich einzugestehen: Es kann sein, dass Sie wütend und ärgerlich sind. Wütend auf den Verstorbenen, auf andere Personen, auf Gott oder auf sich selbst oder das Schicksal. Wutgefühle können manchmal auch die Trauergefühle überschatten, insbesondere dann wenn der Suizid viele Fragen nach dem Warum offengelassen hat. Die Tatsache, dass der verstorbene Mensch einfach gegangen ist und die Hinterbliebenen alleine mit all den offenen Fragen und Problemen zurückgelassen hat, kann bei einigen Menschen insbesondere in den ersten Monaten nach dem Suizid starke Wutgefühle auslösen. Aber auch das Hinterlassen von Schulden oder offenen Angelegenheiten, die von den Hinterbliebenen beglichen werden müssen, verhindert oft zunächst die eigentliche Trauerarbeit.

Dennoch sind Wutgefühle im Trauerprozess nach einem Suizid normal und es ist wichtig über diese Gefühle offen zu sprechen und sich diese anzusehen.

Julia (28 Jahre) hat ihren Partner verloren

„Am Anfang war ich eigentlich nur wütend. Ich war wirklich sauer, dass er mich mit unserem kleinen Sohn einfach im Stich gelassen hat. Auch in finanzieller Hinsicht hatte ich es nun dreifach schwer. Ich konnte einfach nicht begreifen, wie er mir das antun konnte. Es hat bestimmt ein halbes Jahr gedauert, bis ich auch die Trauer in mir wahrnehmen konnte.“

Eigene Suizidalität

Nach einem Suizid treten bei Hinterbliebenen häufig Symptome einer Depression und eigene Suizidwünsche auf. Trauernde befinden sich in dieser Hinsicht oft selbst in einer akuten Krise, welche durch den Tod des Angehörigen ausgelöst wurde.

Die starken Emotionen, die der Suizid auslöste, sind oft nur schwer für die Hinterbliebenen auszuhalten. Weitere Gründe für die eigenen Suizidgedanken liegen in dem Bedürfnis der verstorbenen Person nahe sein zu wollen, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und dem Nachahmungsmodell.

Maria (22 Jahre) hat ihre Schwester verloren

„Ganz klar, ich hatte den sehr starken Wunsch, meiner Schwester hinterher zu gehen. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich ohne sie anfangen sollte, was das Leben noch für einen Sinn machte, wenn sie nicht mehr darin vorkam. Irgendwie habe ich mit der Zeit nun einen Weg ohne sie gefunden. Und auch wenn dieser anders ist, fühlt es sich gut an – anders gut. Ich bin heute froh darüber, dass ich noch geblieben bin.“

Emotionale Taubheit

Manchen Betroffenen fällt es schwer, zu beschreiben, wie sie sich fühlen. Vielleicht weil es ihnen schwerfällt, überhaupt irgendetwas zu fühlen. Diese „emotionale Taubheit“ kann wiederum Schuldgefühle auslösen, da die Betroffenen scheinbar nicht so trauern wie andere, die weinen oder über ihre Gefühle sprechen. Hier hilft es vielleicht, sich bewusst zu machen, dass jeder Mensch auf verschiedene Arten trauert und manchmal vergeht erst etwas Zeit, bis der Schmerz deutlich spürbar wird.

Susanne (16 Jahre) hat ihre Mutter verloren

„In den ersten Tagen danach hatte ich kein Schmerzempfinden mehr. Ich habe mich an der Herdplatte verbrannt und es nicht einmal gemerkt. In den ersten Monaten danach fühlte ich mich wie hinter einer Nebelwand. Irgendwie habe ich funktioniert, aber alles um mich herum wirkte unfassbar unreal. Nach einem Jahr kam ich langsam wieder zu mir.“

Warum erleben wir emotionale Taubheit?

Emotionale Taubheit ist ein komplexer Zustand, in dem wir das Interesse an Aktivitäten oder Dingen verlieren, uns von anderen entfremdet und losgelöst fühlen und nur eine wenige Gefühle spüren (auch beispielsweise Liebe oder Zuneigung). Emotionale Taubheit kann als „Nebeneffekt“ von extremer Belastungen und Stress auftreten. Darum wird unser gesamtes emotionales System sozusagen „heruntergefahren“. Diese Symptome sind allerdings nicht gefährlich oder schädlich, sondern ein Zeichen der derzeitigen psychischen Belastung.