Umgang mit der Trauer
Trauer
Die Dynamik und Dramatik, die ein Suizid, sowohl im Vorfeld eines Suizides, aber auch nach einem Suizid begleitet, unterscheidet sich in ihrer Trauerverarbeitung von anderen Todesfällen. Der Tod durch Suizid geschieht für die Hinterbliebenen oft unerwartet, auch wenn der Verstorbene in der Zeit davor an einer psychischen Erkrankung gelitten hat. Nach einem Suizid berichten Angehörige häufig, dass sich ihre Trauer besonders intensiv anfühlt. Sie erleben oftmals eine starke Sehnsucht nach der verstorbenen Person. Ein Trennungsschmerz, der sich für viele Betroffene wie ein körperlicher Schmerz anfühlt. Gleichzeitig sind diese starken Gefühle häufig gepaart mit Schuldgefühlen und einer tiefen Verzweiflung. Angehörige fühlen sich verantwortlich am Tod des verstorbenen Menschen– oder erleben Wut auf den Verstorbenen selbst. Diese Trauergefühle können manchmal viele Jahre andauern und ein Suizid ist fast immer auch eine traumatische Erfahrung für die Hinterbliebenen.
Häufige Schwierigkeiten im Umgang mit der Trauer
Trauer ist ein Prozess, der sich über die Jahre hin verändert und sehr individuell abläuft. Dennoch gibt es Umgangsweisen mit dem Verlust, welche den Trauerprozess verlängern oder ihn ganz verhindern können.
Hier finden Sie einige Beispiele, die ein solch problematisches Verhalten beschreiben:
- Verleugnung, dass es sich bei der Todesursache um einen Suizid handelt
- Verleugnung von Gefühlen wie Trauer, Schmerz oder Ärger
- Nicht über die verstorbene Person sprechen
- Rückzug und soziale Isolation von Freunden oder anderen Personen, die unterstützen könnten
- Vermeidung von Orten oder Personen, die mit der verstorbenen Person verbunden werden
- Missbrauch von Alkohol oder Drogen
- Schuldzuweisungen auf andere Familienmitglieder
- Erwartung, dass jeder in der Familie so trauern sollte, wie man selbst
Schuldgefühle
Viele Trauernde halten sich für schuldig am Suizid der verstorbenen Person und dieser Gedanke kann ziemlich überwältigend sein. Schuldig dafür, bestimmte Worte gesagt oder nicht gesagt zu haben. Schuldig dafür, bestimmte Dinge getan oder nicht getan zu haben. Schuldig dafür, den Tod nicht kommen gesehen zu haben oder ihn nicht verhindert zu haben. Schuld und Verantwortung am Tod des Verstorbenen zu haben, ist oft ein langandauerndes und intensives Gefühl von Hinterbliebenen nach einem Suizid. Häufig gehen Angehörige davon aus, dass der Tod durch Suizid vermeidbar gewesen wäre, wenn sie sich anders verhalten hätten. Gedanken und Phantasien, dass man eventuell den Menschen noch in den letzten Stunden von seinen Suizidabsichten hätte abbringen hätte können, lösen häufig Schuldgedanken bei den Hinterbliebenen aus.
Dennoch überschätzen die meisten Angehörigen ihre eigene Rolle an dem Suizid, in welcher Form sie den Suizid hätten verhindern können. Sie schätzen ihre eigene Verantwortung am Suizid als gewichtiger ein und andere Faktoren, wie beispielsweise vorangegangene psychische Erkrankungen als Ursache, werden minimiert.
Betroffene nach einem Suizid entwickeln Schuldgefühle weil,
- ...sie denken, dass sie die Ernsthaftigkeit der Situation des Suizidenten nicht richtig eingeschätzt haben
- ...sie das Gefühl haben, dass sie der verstorbenen Person in seiner größten suizidalen Krise nicht nahe genug gestanden haben
- ...sie vielleicht der Grund für die suizidale Handlung gewesen sein könnten, beispielsweise durch eine vorangegangene Trennung oder Konflikte in der Beziehung
Stigmatisierung
Suizid ist in unserer heutigen Gesellschaft oft noch ein Tabuthema und viele Betroffene erleben, dass sich Freunde, Verwandte und Nachbarn in ihrem Verhalten ihnen gegenüber verändern und sich oft zurückziehen. Während sich ein Großteil der Trauernden bei anderen Todesumständen von ihrer Umwelt unterstützt fühlt, erleben es Hinterbliebene nach einem Suizid häufig, dass ihnen mit Schweigen und Distanz begegnet wird. Aber auch wenn das soziale Umfeld die Suizidangehörigen in der Zeit nach dem Tod unterstützen möchte, erleben sie häufig ein Gefühl von Unsicherheit und Verlegenheit, wenn es um potentielle Hilfestellungen für die betroffenen Angehörigen geht. Diese Unsicherheit wird allerdings häufig von den Betroffenen als Ablehnung interpretiert.
Parallel erleben auch die Suizidhinterbliebenen ein Gefühl von Unsicherheit und Unbeholfenheit, wie sie mit dem Suizid bei ihrem sozialen Umfeld umgehen sollen. Offene Gespräche über die verstorbene Person fallen ihnen häufig schwer, da sie sich vielleicht selbst schämen oder sich schuldig fühlen. Manchmal hatten sie vielleicht früher selbst eigene Vorurteile gegenüber dem Suizid als Todesart und haben sich entsprechend keine eigene Haltung angeeignet, welche sie nach außen vertreten können. Manche Betroffene fühlen sich auch überfordert mit ihrer Trauer und der Dramatik des Suizides an sich, so dass sie sich außer Stande sehen, auf andere Menschen offen zuzugehen.
Ärger und Wut
Auch wenn es vielleicht schwer sein mag, es sich einzugestehen: Es kann sein, dass Sie wütend und ärgerlich sind. Wütend auf den Verstorbenen, auf andere Personen, auf Gott oder auf sich selbst oder das Schicksal. Wutgefühle können manchmal auch die Trauergefühle überschatten, insbesondere dann wenn der Suizid viele Fragen nach dem Warum offengelassen hat. Die Tatsache, dass der verstorbene Mensch einfach gegangen ist und die Hinterbliebenen alleine mit all den offenen Fragen und Problemen zurückgelassen hat, kann bei einigen Menschen insbesondere in den ersten Monaten nach dem Suizid starke Wutgefühle auslösen. Aber auch das Hinterlassen von Schulden oder offenen Angelegenheiten, die von den Hinterbliebenen beglichen werden müssen, verhindert oft zunächst die eigentliche Trauerarbeit.
Dennoch sind Wutgefühle im Trauerprozess nach einem Suizid normal und es ist wichtig über diese Gefühle offen zu sprechen und sich diese anzusehen.
Eigene Suizidalität
Nach einem Suizid treten bei Hinterbliebenen häufig Symptome einer Depression und eigene Suizidwünsche auf. Trauernde befinden sich in dieser Hinsicht oft selbst in einer akuten Krise, welche durch den Tod des Angehörigen ausgelöst wurde.
Die starken Emotionen, die der Suizid auslöste, sind oft nur schwer für die Hinterbliebenen auszuhalten. Weitere Gründe für die eigenen Suizidgedanken liegen in dem Bedürfnis der verstorbenen Person nahe sein zu wollen, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und dem Nachahmungsmodell.
Emotionale Taubheit
Manchen Betroffenen fällt es schwer, zu beschreiben, wie sie sich fühlen. Vielleicht weil es ihnen schwerfällt, überhaupt irgendetwas zu fühlen. Diese „emotionale Taubheit“ kann wiederum Schuldgefühle auslösen, da die Betroffenen scheinbar nicht so trauern wie andere, die weinen oder über ihre Gefühle sprechen. Hier hilft es vielleicht, sich bewusst zu machen, dass jeder Mensch auf verschiedene Arten trauert und manchmal vergeht erst etwas Zeit, bis der Schmerz deutlich spürbar wird.
Warum erleben wir emotionale Taubheit?
Emotionale Taubheit ist ein komplexer Zustand, in dem wir das Interesse an Aktivitäten oder Dingen verlieren, uns von anderen entfremdet und losgelöst fühlen und nur eine wenige Gefühle spüren (auch beispielsweise Liebe oder Zuneigung). Emotionale Taubheit kann als „Nebeneffekt“ von extremer Belastungen und Stress auftreten. Darum wird unser gesamtes emotionales System sozusagen „heruntergefahren“. Diese Symptome sind allerdings nicht gefährlich oder schädlich, sondern ein Zeichen der derzeitigen psychischen Belastung.